Präventiv trainieren…

Sport für Körper und Geist….

Runter von der Couch! Gründe, sich zu bewegen, gibt es unendlich viele. Und jetzt noch einen mehr: Sport tut unserem Gehirn gut. Darauf deuten zunehmend mehr Forschungsergebnisse hin.

So haben zum Beispiel US-Wissenschaftler mit dem Magnetresonanztomografen sowohl Ausdauerläufern als auch Sportmuffeln in den Kopf geschaut und festgestellt, dass bei den aktiven Studienteilnehmern unterschiedliche Hirnregionen besser miteinander vernetzt sind. Davon profitiert unter anderem das sogenannte Frontalhirn, zuständig für schwierige Leistungen wie Analysieren, Planen und Entscheiden.

Gehirnzuwachs durch Training

Eine andere US-Studie lieferte ähnliche Ergebnisse. 120 gesunde Erwachsene nahmen daran teil. Die eine Hälfte von ihnen absolvierte ein Jahr lang ein moderates Ausdauertraining, die andere Hälfte lediglich ein leichtes Gymnastikprogramm. Danach verglich man die Gehirne ebenfalls mittels Magnetresonanztomografie miteinander. Bei der Ausdauergruppe hatte sich die Gehirnregion Hippocampus, die für Lernen, Gedächtnis und räumliche Orientierung eine entscheidende Rolle spielt, um zwei Prozent vergrößert.

In der Gymnastikgruppe dagegen war sie um 1,4 Prozent geschrumpft – das entspricht dem normalen Alterungsprozess. Sport in einer gewissen Intensität kann diesen natürlichen Prozess demnach nicht nur aufhalten, sondern sogar umkehren.

Noch bis 1998 glaubte die Wissenschaft, Gehirnzellen werden bei Menschen nicht erneuert. Sie sterben nur ab, wachsen aber nicht nach. Das stand bis knapp vor der Jahrtausendwende in jedem Lehrbuch. Dann bewies eine internationale Forschergruppe das Gegenteil.

Effektiver Umbau

Vor allem im Hippocampus können ständig neue Zellen entstehen. Gerade dort sind sie auch besonders nützlich, weil die Region „das Eingangstor zum Gedächtnis“ bildet, wie der Hirnforscher Professor Gerd Kempermann sagt. „Zwar werden im gesamten Gehirn ständig neue Verbindungen geknüpft und alte gekappt“, so der Experte vom Deutschen Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen in Dresden. „Dass aber in einer so bedeutenden Region sogar neue Zellen entstehen, macht den laufenden Umbau noch effektiver.“

Seit klar ist, dass sich unser Gehirn ständig weiterentwickeln kann, suchen Forscher weltweit nach wirksamen Möglichkeiten, das Lernen zu fördern und das Gedächtnis zu stärken. Oft werden diese Möglichkeiten unter dem Begriff „Gehirnjogging“ zusammengefasst, obwohl die wenigsten etwas mit Sport zu tun haben: Karten spielen zum Beispiel oder Jonglieren.

Läufer sind besser in Mathe

2012 haben zwei US-amerikanische Neurologen die wichtigsten Studien zu den diversen Übungsformen analysiert. Eindeutige Erfolgsbelege fanden sie nur für eine einzige: Sport. Er verstärkt die Neubildung von Nervenzellen im Hippocampus und bremst so deren Schwund bei zunehmendem Alter.

Auch etliche neue Untersuchungen unterstreichen die Bedeutung intensiver Bewegung für den Kopf. So maßen dänische Wissenschaftler bei 500 Schülern die körperliche Fitness sowie verschiedene Gehirnleistungen.

Augenfälligstes Ergebnis: Je länger die Strecke war, die die Teilnehmer bei einem zehnminütigen Intervall-Lauf zurücklegten, desto besser waren auch ihre durchschnittlichen Leistungen in Mathematik.

Schlechtere Durchblutung bei Untätigkeit

Das Gegenteil scheint ebenfalls einen Effekt zu haben. Eine Forschergruppe
animierte zwölf Leistungssportler dazu, zehn Tage lang auf ihr Training zu verzichten. Schon nach dieser kurzen Zeit hatte sich bei den Probanden die Blutversorgung des Hippocampus deutlich verschlechtert.

Doch wie kommt es eigentlich, dass körperliche Aktivität einen so großen Einfluss auf die geistige Leistung hat? So genau weiß man das bisher nicht. „Die Forschung steht hier noch am Anfang“, sagt etwa Professor Henning Boecker von der Radiologischen Universitätsklinik Bonn. Gehirnexperten wie er betonen, dass die Zusammenhänge ungeheuer komplex seien, dass viele Daten bisher lediglich auf Tierversuchen beruhten, dass mehr Fragen offen seien als geklärt.

Neue Blutgefäße bilden sich

Theorien kursieren dennoch. Eine mögliche Erklärung für ein verbessertes Gedächtnis dank Sport liefern etwa Gewebeuntersuchungen. Sie zeigen, dass der geforderte Hippocampus neue Blutgefäße bildet. Für etliche Experten ist dagegen ein Protein namens BDNF der Schlüsselfaktor. Es lässt im Hippocampus neue Nervenzellen sprießen.

„Dass sich das Gehirn hier auf einen einzelnen Faktor verlässt, halte ich für sehr unwahrscheinlich“, sagt dagegen Experte Gerd Kempermann. Er bevorzugt eine andere These: Möglicherweise reagiert das Gehirn, wenn Sport jene Region aktiviert, welche die Bewegungen steuert. „Das gesamte Gehirn wird daraufhin aktiver, das wirkt sich auch auf Denkleistungen aus.“

Glücksgefühl als Schmerzmittel

Doch es ist nicht nur die geistige Fitness, die Experten im Blick haben. Durch Effekte im Gehirn wirkt Sport auch Depressionen entgegen und vermindert die Schmerzwahrnehmung. Letzteres konnte unter anderem Henning Boecker in einer Studie belegen. Eine entscheidende Rolle spielen dabei sogenannte Neurotransmitter – jene Moleküle, über die Nervenzellen miteinander kommunizieren. Sie aktivieren unter anderem das Belohnungssystem des Gehirns und werden für das Wohlgefühl verantwortlich gemacht, das Sport oft erzeugt.

„Sport hilft außerdem, Stress abzubauen und buchstäblich den Kopf frei zu bekommen“, sagt Professor Stefan Schneider von der Sporthochschule Köln. Was viele Sportler aus eigener Erfahrung kennen, hat Schneider mit der Ableitung von Gehirnströmen nachgewiesen: Ist im Gehirn jene Region aktiv, die die Bewegungen steuert, fährt zeitgleich die Region hinter der Stirn ihre Aktivität herunter. Sie ist zuständig für komplexe Denkprozesse – und auch mal überfordert, wenn zu viele Entscheidungen zu treffen sind, soziale Probleme belasten oder die Arbeit über den Kopf wächst.

Neustart in Turnschuhen

In solchen stressigen Phasen könne Sport „ein Stück weit den Schalter umlegen“, sagt Schneider und zieht den Vergleich mit älteren Computern heran. War deren Arbeitsspeicher voll, wurden die Rechner immer langsamer. Dann half nur noch ein Neustart – danach konnte man wieder normal arbeiten. So ähnlich wirke auch Training bei psychischer Überforderung, so der Sportwissenschaftler.

Bewahrheitet sich, dass körperliche Aktivität auch die Denkleistung positiv beeinflusst, ergäbe sich daraus vielleicht eine weitere sportliche  Therapieoption – nicht nur gegen Depression, Stress und Schmerzen, sondern eventuell auch gegen Demenz. Doch kann Sport tatsächlich den Leistungsverlust ausgleichen, der sich mit zunehmendem Alter im Gehirn vollzieht?

Kreuzworträtsel reichen nicht

Wohl nicht vollständig, so zumindest der aktuelle Forschungsstand. Aber dennoch in einem erstaunlichen Ausmaß. Kanadische Wissenschaftler zeigten dies in einer Studie mit durchschnittlich über 75 Jahre alten Teilnehmern. Je aktiver diese waren, umso besser schnitten sie bei Gehirnfunktionstests ab. Sogar bereits geringe körperliche Anstrengungen wie Spaziergänge oder Gartenarbeit ergaben einen messbaren Effekt.

Vieles spricht allerdings dafür, dass der Nutzen für den Kopf bei höherer Intensität steigt. Bis Konkretes belegt wird, empfiehlt Experte Henning Boecker, sich an die allgemeinen Empfehlungen zu halten: 30 Minuten Sport bei moderater Belastung mehrmals pro Woche. Menschen mit Vorerkrankungen sollten ihre Trainingspläne mit dem Arzt absprechen.

Das pralle Leben genießen

Am wichtigsten aber ist die Freude an der Bewegung – vor allem wenn es darum geht, den Kopf frei zu kriegen. „Die Leute sollen Spaß am Training haben und ihre Intensität selbst bestimmen“, sagt Sportwissenschaftler Schneider.

Und auch wenn die genauen Zusammenhänge zwischen Muskelbelastung und Gehirnprozessen derzeit noch unklar sind: Indirekt nutze Sport dem Kopf auf jeden Fall. Schneider: „Nur wer körperlich fit ist, kann am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Das Gehirn braucht den vielfältigen Input, wie ihn nur das pralle Leben liefert. Kreuzworträtsel reichen dafür nicht aus.“

Quelle: Apotheken Umschau